Aktuelle Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen (Update 2022)

Die wissenschaftliche S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen (hier erstmals 2016 veröffentlichter Artikel) wurde überarbeitet und ist in ihrer zweiten Version ab sofort bis April 2026 gültig (vormals bis 2019). Auch in der zweiten Version der AWMF-Leitlinie wird der Verhaltenstherapie erneut der höchste Empfehlungsgrad ausgesprochen: Evidenzgrad Ia*. Das bedeutet, dass Verhaltenstherapie hochwirksam ist in der Behandlung von Phobien, Panikattacken, Agoraphobien und generalisierten Angststörungen. Randomisierte, kontrollierte Studien und systematische Metaanalysen bestätigen dies eindeutig.

Psychodynamische Verfahren (tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Psychoanalyse) erhielten in der ersten Version der S3-Leitline nur Evidenzgrad IIa, psychodynamische Psychotherapie sollten daher im Fall von Angststörungen nur angeboten werden, „wenn sich eine Verhaltenstherapie nicht als wirksam erwiesen hat, nicht verfügbar ist oder wenn eine diesbezügliche Präferenz des informierten Patienten besteht“. Die nun überarbeitete Leitlinie spricht den tiefenpsychologischen Verfahren erneut Evidenzgrade IIa bzw. IIb. aus.

Für die neu hinzugekommene Systemische Psychotherapie lagen bislang nur größere Datensätze zu spezifischen Phobien vor, die jedoch bislang ohne Evidenzgrad bewertet wurden, es besteht jedoch Expertenkonsens darüber, dass die Systemische Therapie auch wirksam in der Behandlung von Angststörungen ist.

Ebenso wirksam wie Verhaltenstherapie sind laut aktueller S3-Leitline bestimmte Medikamente. Dazu zählen wie bereits in der ersten Fassung der Leitline selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) und selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI). Für manche Störungsbilder wurden nun auch trizyklische Antidepressiva sowie Kalziummodualtoren ebenfalls in den Evidenzgrad Ia* eingruppiert, sowie weitere Substanzklassen in die Kategorie Ib*.



Überblick über die verschiedenen Angststörungen:

Panikstörung/Agoraphobie:
Kognitive Verhaltenstherapie Ia*
Psychodynamische/Tiefenpsychologische Verfahren IIa.
Internetbasierte Therapieformen, Sport/Ausdauertraining und Selbsthilfegruppen sind ohne definierte Evidenzstufe bewertet, jedoch besteht sogenannter Expertenkonsens darüber, dass diese Strategien als ergänzende Maßnahme oder als Wartemaßnahme bis zu einer Behandlung angeboten werden kann.

Generalisierte Angststörung:
Panikstörung/Agoraphobie: Kognitive Verhaltenstherapie Ia*
Psychodynamische/Tiefenpsychologische Verfahren IIa.
Internetbasierte Therapieformen, Sport/Ausdauertraining und Selbsthilfegruppen ohne Evidenzstufe jedoch Expertenkonsens.
Übrigens: Auch in der zweiten Version der Leitlinie stellt bei der Generalisierten Angststörung die Bearbeitung von sogenannten positiven und negativen Metakognitionen/Metasorgen nach Prof. A. Wells einen empfohlenen Schwerpunkt in der kognitiv-behavioralen Behandlung dar. (Metakognitionen sind bspw. Sorgen über das Sich-Sorgen wie z.B. „Ich mache mir Sorgen, dass meine Sorgen meine Gesundheit beeinträchtigen“, „Ich kann meine Sorgen nicht kontrollieren“, „Wenn ich mir Sorgen mache, bin ich besser vorbereitet“). Weitere Informationen unter www.metakognitivetherapie.de

Soziale Phobie:
Kognitive Verhaltenstherapie Ia*
Psychodynamische/Tiefenpsychologische Verfahren IIb
Systemische Therapie: ohne Evidenzgrad, bislang nur Expertenkonsens
Internetbasierte Therapieformen, Virtuelle Realität Exposition, Sport/Ausdauertraining und Selbsthilfegruppen ohne Evidenzgrad, jedoch mit Expertenkonsens

Spezifische Phobien (z.B. Spinnen, Höhe):
Kognitive Verhaltenstherapie Ia*
Virtuelle Realität Exposition Ib – interessanterweise erwiesen sich für spezifische Phobien computergestützte Expositionsbehandlungen als nachweislich evidenzbasiert.


Legende zur Evidenzgrad Definition
Ia Evidenz aus einer Metaanalyse von mindestens 3 randomisierten kontrollierten Studien (RCTs)
Ib Evidenz aus mindestens 1 randomisierten kontrollierten Studie oder einer Metaanalyse von weniger als 3 RCTs
IIa Evidenz aus zumindest einer methodisch gut kontrollierten Studie ohne Randomisierung
IIb Evidenz aus zumindest einer methodisch guten, quasi-experimentellen deskriptiven Studie
III Evidenz aus methodisch guten, nichtexperimentellen Beobachtungsstudien (z.B. Fallstudien)
IV Evidenz aus Expertenkomitees, Expertenmeinungen, klinische Erfahrung anerkannter Autoritäten


Quelle:
Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftliche arbeitende medizinische Fachgesellschaften (AWMF)

Mehr erfahren:
Für Patienten: Patientenleitlinie Angststörungen [Download: 1,07 Mb]
Für Behandler: Leitlinie Angststörungen (Kurzfassung) [Download: 0,51 Mb]